Der Dichter Stefan George wurde 1868 in Büdesheim, einem Dorf bei Bingen am Rhein geboren. Seine Familie zog 1868 nach Bingen, wo sein Vater, der zunächst Gastwirt gewesen war, ein erfolgreicher Weinhändler wurde. George besuchte von 1882 bis 1888 das Gymnasium in Darmstadt. In den folgenden zwei Jahren führten ihn erste Reisen nach London, Italien und insbesondere nach Paris, wo er den Dichtern des französischen Symbolismus begegnete, vor allem Stéphane Mallarmé, der zum Vorbild am Beginn der dichterischen Laufbahn Georges wurde. Von wenigen bedeutenden Ausnahmen abgesehen, wurde die literarische Situation in Deutschland zu jener Zeit einerseits von einem verwässerten Epigonen-Klassizismus, andererseits von einem brutalen Naturalismus bestimmt, die von George als gleichermaßen abstoßend empfunden wurden. Das von Mallarmé verkündete Programm, wonach »die orphische Deutung der Erde die einzige Aufgabe des Dichters ist«, und seine Überzeugung, daß »alles, was geheiligt ist und geheiligt bleiben will, sich in ein Mysterium hüllt«, wirkte wie eine verführerische Offenbarung auf den jungen George. Von 1889 an war er drei Semester lang an der Universität in Berlin immatrikuliert, besuchte aber nur wenige Vorlesungen. Als im Jahr 1890 sein erster Gedichtband erschien, hatte George bereits den Lebensstil angenommen, den er bis zu seinem Ende beibehalten sollte. Er hatte niemals eine eigene Wohnung, nicht weil er sich keine hätte leisten können, da er von seinen Eltern ein hinlängliches Vermögen geerbt hatte, sondern seines Selbstverständnisses wegen. Er wohnte abwechselnd als Gast seiner Freunde und Bewunderer in Berlin, München, Heidelberg, Basel, oder auf Reisen, vor allem in Italien und in Paris. Er vermied alle Auftritte in der Öffentlichkeit, und seine Bücher wurden nur als Privatdrucke veröffentlicht. Außerdem unterstrich er den esoterischen Charakter seiner Werke durch orthographische Besonderheiten, wie die Kleinschreibung der Hauptwörter, und ein spezielles ornamentales Druckbild.
  Biographie





Stefan George


Georges später berühmt gewordener »Kreis« formierte sich bereits früh, bestand aber zunächst aus etwa Gleichaltrigen, unter denen George noch keine eindeutige Führerstellung einnahm -- im Unterschied zur späteren Situation, als er der verehrte Meister seiner tatsächlich zum größten Teil viel jüngeren »Jünger« war. Obwohl George allem Anschein nach beinahe ausschließlich homoerotische Neigungen hatte, gibt es keinen Hinweis darauf, daß er jemals vom strikt Platonischen Modell des pädagogischen Eros und der ästhetischen Bewunderung abgewichen wäre. Seine Gründe dazu waren gewiß teilweise rein praktischer Natur, d.h. von dem verständlichen Wunsch, sozialer Verfemung oder gar krimineller Verfolgung zu entgehen, bestimmt, andererseits aber auch ein selbstgewählter Verzicht aus künstlerischer Disziplin. Daß die starken Emotionen in seinen Verhältnissen zu jungen Männern dennoch mitunter dramatische Verwicklungen herbeiführen und beunruhigende Auswirkungen haben konnten, ist zum Beispiel an Georges Begegnung mit Hugo von Hofmannsthal zu sehen. George war selbst erst 23, als er dem siebzehnjährigen, aber sehr frühreifen österreichischen Dichter in Wien begegnete. Was eigentlich zu der Verstimmung führte, die George sogar eine Duellforderung erwägen ließ, ist aus den erhaltenen Briefen nicht genau ersichtlich. Trotz einer oberflächlichen Versöhnung blieb das Verhältnis der beiden Dichter distanziert, bis zum abrupten Abbruch ihres Briefwechsels im Jahr 1907. Auch eine andere, anfangs glücklichere Freundschaft Georges endete in einem Mißklang: Als der Germanist Friedrich Gundolf, dessen Mentor in seinen Jugendjahren George gewesen war, und der einer der glühendsten Verehrer des Dichters wurde, dann schon in seinen späten dreißiger Jahren, gegen Georges Willen heiratete, führte das den unwiderruflichen Bruch herbei.

Georges leidenschaftlichste, unglücklichste und dichterisch fruchtbarste Liebesaffäre begann im Jahr 1902, als er in einer Münchner Straße einen Jungen um die Erlaubnis bat, dessen »interessanten« Kopf zeichnen zu dürfen. Max Kronberger, ein vierzehnjähriger Gymnasiast, fühlte sich dadurch geschmeichelt. Am nächsten Tag begleitete er den Dichter auch noch in ein Fotoatelier, um dort ein Porträt anfertigen zu lassen. George scheint dann aber Angst vor seiner eigenen Courage bekommen zu haben, da er beinahe ein Jahr lang keinen Versuch unternahm, den Jungen wiederzusehen. Als sie sich zufällig wieder begegneten, hatte Kronberger inzwischen herausgefunden, daß George ein Dichter war. Da auch seine ehrenwerten Eltern George offenbar für respektabel hielten und nichts dagegen einzuwenden hatten, sahen sich die beiden von nun an öfter, in einem Verhältnis, dessen erotische Tönung schon aus der Art ihrer gelegentlichen Auseinandersetzungen hervorgeht. Max Kronberger starb aber plötzlich an einer akuten Krankheit, einen Tag nach seinem sechzehnten Geburtstag. Was folgte war eine poetische Vergötterung, die mit Dantes Verklärung seiner Beatrice verglichen wurde, aber eher an den verzweifelt großartigen Willen Hadrians zur Erhebung des toten Antinous unter die Götter erinnert -- bei allem Unterschied der Zeiten und Umstände natürlich.

Ihr hattet augen trüb durch ferne träume

Und sorgtet nicht mehr um das heilige lehn.

Ihr fühltet endes-hauch durch alle räume -

Nun hebt das haupt! denn euch ist heil geschehn.

In eurem schleppenden und kalten jahre

Brach nun ein frühling neuer wunder aus

Mit blumiger hand mit schimmer um die haare

Erschien ein gott und trat zu euch ins haus.

Vereint euch froh da ihr nicht mehr beklommen

Vor lang verwichner pracht erröten müsst:

Auch ihr habt eines gottes ruf vernommen

Und eines gottes mund hat euch geküsst.

Nun klagt nicht mehr - denn auch ihr wart erkoren -

Dass eure tage unerfüllt entschwebt. . .

Preist eure stadt die einen gott geboren!

Preist eure zeit in der ein gott gelebt!

 







Hugo von Hofmannsthal














Friedrich Gundolf


Diese forcierte Geste und übersteigerte Deutung belastet alles, was George im Rückblick auf seine Liebe zu Maximin schrieb. Das spontane Gefühl, das er einem Heranwachsenden entgegenbringen konnte, aber auch das Wissen um den schmerzlichen Verzicht, wird viel deutlicher in den Versen, die er 1905 - erneut verliebt - an den vierzehnjährigen Hugo Zernik richtete:

Mein kind kam heim.

Ihm weht der seewind noch im haar ·

Noch wiegt sein tritt

Bestandne furcht und junge lust der fahrt.

Vom salzigen sprühn

Entflammt noch seiner wange brauner schmelz:

Frucht schnell gereift

In fremder sonnen wildem duft und brand.

Sein blick ist schwer

Schon vom geheimnis das ich niemals weiss

Und leicht umflort

Da er vom lenz in unsern winter traf.

So offen quoll

Die Knospe auf dass ich fast scheu sie sah

Und mir verbot

Den mund der einen mund zum kuss schon kor.

Mein arm umschliesst

Was unbewegt von mir zu andrer welt

Erblüht und wuchs -

Mein eigentum und mir unendlich fern.


Dennoch blieb es das Erlebnis Maximin, das Georges wohl ambitioniertestes Gedichtwerk bestimmt. Der Siebente Ring, 1907 erschienen, markiert zugleich die Wendung vom selbstgenügsamen Ästheten zum Ankläger und Richter einer als zutiefst verderbt gesehenen, allem Echten und Wahren in Leben und Kunst entfremdeten Zeit der Verflachung und Vermassung, und zum Propheten des Untergangs und der Erneuerung im Geiste. George hatte das offizielle Wilhelminische Deutschland, das eine brutal materialistische Politik mit dekorativen Phrasen überdeckte, stets abgelehnt, und seiner eigenen aus einem Ideal historischer Größe entstandenen Vision Deutschlands entgegengestellt. Er ließ sich auch von dem allgemeinen Begeisterungsausbruch am Beginn des Ersten Weltkriegs, 1914, nicht mitreißen, und fühlte sich von der Niederlage 1918 weitgehend bestätigt. In den folgenden aufgewühlten und chaotischen Nachkriegsjahren wurde George zum Idol einer idealistischen Jugend, zu der auch Klaus Mann (geboren 1906) gehörte, der sich später erinnerte:

»Aber was immer mich heute von ihm trennen mag, damals kannte meine Verehrung keine Grenzen. Ich sah in ihm den Führer und Propheten, die cäsarisch-priesterliche Figur, als die er sich präsentierte. Inmitten einer morschen und rohen Zivilisation verkündete, verkörperte er eine menschlich-künstlerische Würde, in der Zucht und Leidenschaft, Anmut und Majestät sich vereinen. Jede seiner Gebärden und Affekte hatte den Charakter des Beispielhaften, Programmatischen. Er stilisierte die eigene Biographie zum Mythos; sein Liebeserlebnis, die Neigung zum Knaben Maximin, bildete das Kernstück einer Philosophie, die für den Kreis der Jünger eine Offenbarung war. Die Begegnung zwischen Dichter und Jüngling unter dem Bogen des Münchner Siegestores, ihre Vereinigung, ihr kurzes Glück, der Tod des Herrlichen, der Klagegesang am Grabe, dies Drama, das Der Siebente Ring glorifiziert, wurde mir zum integralen Bestandteil des eigenen Fühlens und Denkens. Die Wiedervereinigung von Moral und Schönheit, die Frank Wedekind - und nicht er allein! - mit so eifervollem Nachdruck empfahl: im Maximin-Mysterium schien sie Ereignis geworden. Die Versöhnung zwischen hellenischem und christlichem Ethos, hier fand ich sie erreicht. Stefan Georges ordnender Geist hatte, so wollte ich glauben, den fundamentalen Konflikt gelöst, den Heinrich Heine mit Intuition und Scharfsinn analysiert und der als tragisches Leitmotiv das Werk Friedrich Nietzsches beherrscht. Meine Jugend verehrte in Stefan George den Templer, dessen Sendung und Tat er im Gedicht beschreibt. Da die schwarze Woge des Nihilismus unsere Kultur zu verschlingen droht, da die große Nährerin in einer Weltnacht starr und müde pocht, tritt er auf den Plan - der militante Seher und inspirierte Ritter. Er packt die Flechte der Störrischen, Erlahmten; von seinen Lippen kommt das magische Wort, welches bewirkt, daß sie ihr Werk willfährig weitertreibt: den Leib vergottet und den Gott verleibt.«

Auf den ersten Blick gesehen hat Georges Verkündigung einer hierarchischen Gesellschaftsreform auf der Grundlage einer neuen geistig-seeelischen Aristokratie einige Ähnlichkeit mit manchen Zügen der faschistischen Ideologien, wie sie in mehreren europäischen Staaten in den zwanziger Jahren aufkamen. Zweifellos war es George, nach Gesinnung und Haltung, niemals möglich, seine Sache mit der des Nationalsozialismus zu identifizieren. Die Zweideutigkeit zeigte sich aber deutlich im Jahr 1933, als einige seiner Anhänger sich begeistert zur Machtergreifung der Nazis bekannten, während andere, wie sein ältester Gefährte, der jüdische Dichter Karl Wolfskehl, gezwungen waren, ins Exil zu gehen. George selbst wies alle Ehrungen, mit denen die neuen Machthaber ihn für sich zu gewinnen suchten, zurück. Bereits schwer erkrankt, entschloß er sich, Deutschland zu verlassen, ließ sich in einem Dorf im Tessin (Schweiz) nieder, und starb am 4. Dezember 1933 in Locarno

© Straton 1999
 



Auf einem Maskenball: George als Dante, Maximin als italienischer Page






































Klaus Mann

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