er Schaupieler Toshiro Mifune,
der mit seiner Verkörperung des scharfsinnigen schweigsamen
Samurai bekannt wurde, sprach niemals ein Wort darüber.
Akira Kurosawa, der berühmte Filmregisseur, schwieg dazu
unergründlich. In keinem der Hunderte von Samuraifilmen
gibt es auch nur eine Anspielung auf Nanshoku,
die Liebe des Samurai*.
Die Liebe der Männer zu Jugendlichen, die einst im Zentrum
der Erziehung, des Ehrenkodex und des erotischen Lebens der Samurai
stand, wurde nicht nur unmöglich sondern sogar unnennbar.
Es bleibt aber eine unleugbare Tatsache, daß dieses emotionale
und sexuelle Bündnis zwischen einem älteren Krieger
und einem jungen Lehrling eine der Grundlagen des Lebens der
Samurai war. In der japanischen Sprache gibt es dafür so
viele Bezeichnungen wie in der Sprache der Eskimos für Schnee. In unserem Reich Japan blühte dieser Weg von der Zeit unseres großen Meisters Kobo an. In den Abteien von Kyoto und Kamakura, und in der Welt unserer Edlen und Krieger war es üblich, daß Liebende sich vollkommene und ewige Liebe schworen, die nur auf ihrem guten Willen beruhte. Ob ihre Partner adlig oder bürgerlich, reich oder arm waren, war dabei unwichtig... In allen diesen Fällen wurden sie vom Geist dieses Weges aufs stärkste bewegt. Dieser Weg muß wahrlich geachtet werden, und wir dürfen nicht zulassen, daß er jemals verschwindet.(1)
Japaner wie Griechen sahen die Liebe zwischen einem Mann und einem Jungen in Zusammenhang mit den besten Eigenschaften der menschlichen Natur, manchmal als Weg zu solchen Idealen, manchmal als deren Ziel. In einem Lied des griechischen Dichters Simonides (559-469 v. Chr.) heißt es: Höre die vier
besten Dinge, die ein Mann vom Leben verlangen kann: Diese Worte finden ein Echo in einem zweitausend Jahre später entstandenen Text, der weniger überschwenglich sondern eher konfuzianisch gehalten ist. Er stammt aus dem anonymen Werk Inu Tsurezure, Mußestunden eines Hundes, erschienen im Jahr 1653: Für einen Samurai ist es natürlich, jede Anstregung zu unternehmen, um mit dem Schwert und mit der Feder zu glänzen. Außerdem ist es wichtig für uns, niemals, bis zu unserer letzten Stunde, den Geist des Shudo zu vergessen. Wenn wir ihn vergessen, wird es uns nicht möglich sein, den Anstand zu bewahren, noch die Vornehmheit der Sprache, noch die Feinheit des höflichen Benehmens.(4) In mancher Hinsicht gab es Unterschiede. So wurde in Japan von dem Jungen erwartet, den ersten Schritt zu unternehmen, während bei den Griechen der Mann um den Jungen zu werben hatte. In einem berühmten Samurai-Handbuch von Yamamoto Tsunetomo aus dem frühen 18. Jahrhundert, Hakagure, Zwischen Blättern versteckt, wird empfohlen: Ein junger Mann sollte einen älteren Mann für mindestens fünf Jahre auf die Probe stellen, und wenn er von dessen Absichten Gewißheit hat, dann soll er um die Beziehung bitten... Wenn der junge Mann sich hinzugeben vermag und für fünf oder sechs Jahre in dieser Lage bleibt, dann ist es nicht unpassend.(5) Es scheint also, daß
dieser Vorgang in einem durchaus frühen Alter begonnen haben
muß, da solche Beziehungen formell mit der Feier der Volljährigkeit,
normalerweise im Alter von 18 oder 19 Jahren, beendet wurden.
Junge Samurai erhielten dann eine Art Tonsur, wobei die Haare
am Vorderkopf so abgeschnitten wurden, daß es beginnenden
Haarausfall vortäuschte: ein Statussymbol in einer Gesellschaft,
in der bis heute Geburtstage verglichen werden, um eine Rangfolge
dem Alter nach herzustellen. Wie im antiken Griechenland blieben
die Partner aber gewöhnlich Freunde auch nach dem Ende ihres
pädagogisch-erotischen Verhältnisses, und manche dieser
Beziehungen lösten sich nicht mit der Zeit auf, sondern
entwickelten sich zu lebenslanger Liebe. Sein Leben für einen anderen hinzugeben ist der erste Grundsatz des Nashoku (wörtlich: Männerfarbe). Wenn es nicht so ist, ist es eine Schande. Dann hat man aber nichts mehr übrig, um es seinem Herrn zu opfern. Daraus ergibt sich, daß es etwas sowohl erfreuliches als auch unerfreuliches ist.(6) Das Shudo der Samurai begann in der Kamakura-Zeit, d.h. im 13. Jahrhundert, erreichte seine volle Entfaltung zur Zeit des Tokugawa-Shogunats im frühen 17. Jahrhundert und verfiel später, als das Land geeinigt war und die Bedeutung der Kriegerkaste zurückging. Die Geschichte der männlichen Liebe in Japan ging aber der Periode der Samurai voran und überdauerte sie auch. Obwohl die vorgeschichtlichen Ursprünge nicht erkennbar sind, gibt es schriftliche Zeugnisse bereits aus der Heian-Zeit (7951185). In dieser friedlichen Epoche, die sich durch eine aufgeklärte Regierung auszeichnete und in der die Hauptstadt Kyoto gegründet wurde, erlebte Japan eine erste Blütezeit der Kultur und des städtischen Lebens. Aus dieser Zeit stammt der berühmte Roman Genji-monogatari, Geschichte des Genji. Darin findet sich eine Episode, in der Genji, ein verschmähter Freier, sich mit dem jungen Bruder seiner Geliebten tröstet: Aber du darfst mich nicht auch noch verlassen. Genji zog den Jungen zu sich heran. Der Junge war darüber hocherfreut, so groß waren Genjis jugendliche Reize. Genji seinerseits, wie gesagt wird, fand den Jungen viel anziehender als seine frostige Schwester.(7) Ein anderes Werk, Ise-monogatari, entstanden 951, enthält das Gedicht eines Mannes, der von seinem Freund getrennt ist: Ich kann nicht glauben
daß du Seitdem wird die männliche
Liebe immer häufiger erwähnt. Im 12. Jahrhundert wird
erstmals Kukai als Urheber des Nanshoku benannt. Kukai, oder
Kobo Daishi, der große Meister von Kobo, wie
er später genannt wurde, begründete den japanischen
Zweig des Vajrayana-Budddhismus. Nach seiner Rückkehr aus
China, wo er die Lehren des Sechsten Patriarchen gehört
hatte, eröffnete Kukai im Jahr 816 am Berg Koya eine esoterische
Schule. Er erwarb sich große Verdienste auch auf sprachlichem
Gebiet, so als Schöpfer der ersten japanischen Schrift und
als Übersetzer heiliger Texte aus dem Chinesischen. Es gibt
jedoch keine historischen Belege dafür, daß er auch
die männliche Liebe in Japan eingeführt hat. Der Legende
nach war er es aber, der von den Freuden des Nanshoku in China
erfahren hatte, einem Land mit einer schon damals langen und
reichen homoerotischen Tradition, und der diesen Brauch dann
in Japan heimisch machte. Jedenfalls wurde der Berg Koya zum
Synonym für Shudo in der mittelalterlichen japanischen Literatur.(9) Der Buddha lehrt, daß der Berg Imose (eine Metapher für Frauenliebe) zu vermeiden ist, und so waren es zuerst die Priester des Dharma, die diesen Weg (Shudo) gingen, weil sie keine Herzen aus Stein oder Holz hatten.(11) So entstand, in einer weiteren Parallele zur griechischen Kultur, eine üppige und vielfältige Literatur, Prosa, Dramen und Gedichte, die von der männlichen Liebe angeregt wurde. Es überrascht aber nicht, daß davon bisher leider nur sehr wenig in europäische Sprachen übersetzt ist. Erst neuerdings gibt es Gelehrte, die damit begonnen haben, die frühere Vernachlässigung wettzumachen. Kitamura Kigin hat eine Anthologie männlicher Liebesgedichte in Englische übertragen: Rock Azaleas. Auch das klassische Werk von Ihara Saikuku aus dem Jahr 1687, eine Sammlung von vierzig Kurzgeschichten über Liebe zwischen Männern und Jungen, gibt es in einer englischen Übersetzung: The Great Mirror of Male Love. Mehrere Jahrhunderte lang
war die Geschichte Japans von den Kämpfen zwischen rivalisierenden
Feudalherren bestimmt worden, als mit dem Regierungsantritt des
Shoguns Jesayu Tokugawa im Jahr 1603 die Auseinandersetzungen
beendet wurden, und ruhige Zeiten begannen. Eine der Auswirkungen
dieser stabilen Friedensherrschaft war, daß die Kriegerkaste
der Samurai an Macht und Einfluß verlor. Andererseits kam
es zum Aufstieg des Bürgertums, dessen Angehörige manche
Sitten und Bräuche der Samurai übernahmen. Kampftechniken
der Krieger wurden zu Sportarten wie Judo und Kendo, und Shudo
bahnte den Weg für ein Theaterleben, in dem Jungen als Schauspieler
herumreisten, und eine Menge von Dandys sie bewunderte und um
ihre Gunst warb. Die öffentliche Zurschaustellung der Fans
erregte solche Unruhe, daß Gesetze erlassen wurden, um
die Frisuren und Kostüme der Schauspieler zu regeln, damit
daß Publikum davon nicht zu sehr erregt wurde. Knabenbordelle
wurden ebenfalls ein übliches Merkmal der Vergnügungsbezirke
größerer Städte, so daß die Währung
des Nanshoku sich von Ehre und Giri, Dienst, in Gold
und Silber verwandelte. der Verfall des Shudo hatte bereits im 18. Jahrhundert begonnen, als Japan sich noch mitten in der langen Zeit seiner absichtlichen Isolation von der übrigen Welt befand. Der Geist des Shudo als eines Weges zog sich zurück, während Homosexualität sich immer mehr ausbreitete. Die Tatsache, daß sich die Kagema, die jugendlichen Schauspieler, am Ende dieses Jahrhunderts meistens wie Mädchen kleideten, wohingegen sie sich früher in gutem Geschmack als schöne junge Männer gekleidet hatten, ist ein deutliches Anzeichen der schweren Entartung der Homosexualität zu dieser Zeit.(12) Diese Wendung der Ereignisse entspricht wiederum genau der Erfahrung der klassischen Antike, und erinnert in beinahe beklemmender Art an die Dynamik der niedergehenden Päderastie in der Griechisch-Römischen Welt. Auch dort kam es zur Kommerzialisierung und zu den Mißbräuchen des späten Römischen Reiches. Die Reaktion auf solche Exzesse begünstigte den anti-erotischen Nützlichkeitsstandpunkt des Christentums der Sexualität gegenüber, also dieselben Lehren, die, in verweltlichter Form, 1500 Jahre später dazu beitrugen, dem Shudo den Garaus zu machen. Westliche Einflüsse spielten somit bei diesem Lauf der Dinge auch eine Rolle. Seit europäische Seefahrer und Händler das entlegene Inselreich entdeckt hatten, empörten sie sich über dessen lose Sitten und Verderbtheit. Der Portugiese Luis Frois berichtet in seiner Geschichte Japans von einer Audienz des Jesuitenpaters Francisco Xavier und seines Gefolges bei dem Daimyo von Yamaguchi, Ouchi Yoshitaka: Der Fürst begrüßte sie herzlich und sagte, daß er gerne von der Lehre der Christen hören würde. Bruder Juan Fernandez las mit lauter Stimme aus einem Notizbuch die Schöpfungsgeschichte und die Zehn Gebote auf Japanisch. Nachdem er von der Idolatrie (Götzenanbetung) und den anderen Vergehen der Japaner gesprochen hatte, kam er zur Sünde von Sodom (Homosexualität), die er als etwas so abscheuliches beschrieb, daß es unreiner sei als das Schwein und niedriger als der Hund und andere vernunftlose Tiere. Da schien Yoshitika verärgert zu sein, und er bedeutete ihnen hinauszugehen. Aber der König antwortete ihnen kein Wort, und Fernandez glaubte, er würde sie zu töten befehlen. (13) Die dennoch zunächst recht erfolgreiche christliche Mission in Japan wurde im frühen 17. Jahrhundert gewaltsam unterdrückt und beendet, und das Land schloß sich etwa 250 Jahre lang beinahe völlig von der Außenwelt ab. Erst 1854 erzwang eine amerikanische Flottenexpedition die Öffnung der japanischen Häfen für den internationalen Handel. In der bald darauf beginnenden radikalen Modernisierung des Landes nach westlichem Vorbild wurden nicht nur die Samuari als besonderer Stand endgültig beseitigt, sondern ging auch Wakashudo unter. Tahuro Inagaki schreibt dazu: Ohne daß wir es bemerkt haben, ist uns diese Tradition unserer Kultur verlorengegangen Als wir zur Schule gingen, hörten wir noch oft von Affären, in denen zwei Studenten um einen schönen Jungen stritten und sich schließlich mit Messern bekämpften Aber seit der neuen Taisho-Zeit (1912-1926) hört man nicht mehr von so etwas. Das Shudo, das am Leben gehangen hatte, ist nun zu Ende gegangen.(14)
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